Es fing ganz harmlos an. Irgendwann las ich immer öfter von „Reichweite“. Und mit dieser Vokabel kam das Jammern. Das Jammern über eine nicht ausreichende Reichweite, über zu wenig Likes, zu wenig Klicks, zu wenig Aufmerksamkeit auf Facebook. Bedrückt wurden teilweise sogar Screenshots von Statistiken, Kurven, Tabellen geteilt. Frei unter dem Motto: “Guckt mal, bin ich wirklich so schlecht? Warum bekomme ich nicht so viele Likes (wie XY)? Hilfe! :(“
Welcome to Candyland, where everything is wonderful.
Irgendwann reichte es nicht mehr, nur ein Foto zu posten. Nein. Es mussten blumige Umschreibungen hinzugefügt werden. Wie wundervoll das letzte Shooting war, wie fantastisch man die Zusammenarbeit, äh nein, die Kollaboration fand. Man ist „verliebt“ in seine Bilder, in das Model, in Photoshop, in ein „Preset“, in seine eigene „Community“, in einen Workshop, in die Location, in das Licht, in praktisch ALLES. Eine komplett verrückt überzuckerte Facebookfotowelt. Welcome to Candyland, where everything is wonderful.
Seien wir ehrlich. Ich will mich nicht ausnehmen. Ich habe das Wort „verliebt“ in diesem Kontext mehrmals in den Mund genommen oder in das ein oder andere Facebooktextfeld eingetippt. Sogar mit Hashtag davor. Ich bin nicht anders.
Seit wann bepauchpinseln sich so viele Fotografen so sehr gegenseitig und selber?
Aber seit wann muss man sich denn dermaßen gegenseitig Honig ums Maul schmieren? Seit wann bebauchpinseln sich so viele Fotografen so sehr gegenseitig und selber? Und seit wann wird konstruktive Kritik meist arrogant und dünnhäutig abgewatscht, meist mit dem Vorwurf, man sei “neidisch“?
Heute schaue ich mich bei Facebook um und frage mich, bei vielen Fotografen: Geht es hier eigentlich noch um die Fotografie oder nur noch um Selbstvermarktung? Die einen bieten nun Fitnesskurse an, die anderen Lightroompresets, Onlineschulungen, Meet & Greets. Zwischen Newslettern und Blogeinträgen zu Facebookmarketing liest man immer wieder: „Wo ist meine Reichweite hin? Habt ihr schon Einstellung XY gemacht, damit ihr auch IMMER ALLES von mir seht und NICHTS verpasst?!“ , „Euch gefällt mein Foto? Dann liket meine Seite!“ , „Was wollt ihr als Nächstes sehen? Eine Roomtour, ein Tutorial, ein Vorher Nachher?!“
Mir ist die Lust vergangen.
Ein paar Monate lang habe ich auch versucht mitzuschwimmen, saß vor meinem Computer und hab gegrübelt, was ich schreiben soll, damit Leute das mögen, was ich poste. Ich habe vorhin zurückgescrollt. Bis Ende April habe ich noch hier und da Herzchen verstreut und mit zuckrigen Worten um mich geschmissen, seitdem ist damit Schluss. Seitdem bin ich wortlos. Mir ist die Lust vergangen.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass besonders im letzten Jahr viele Fotografen auf diesen Zug aufgesprungen sind, ohne sich selbst mal zu hinterfragen.
Wie oft habe ich mir beim FB-Durchscrollen schon gedacht: „Oh! XY macht jetzt auch Workshops, Homevideos und Liveshootings und schmeisst mit traurigen Emojis um sich, wenn ein Foto mal nicht ‚genug‘ Likes bekommt? Das passt doch so gar nicht zu ihm/ihr.“
Es geht schon seit Monaten nur noch selten um die Fotografie.
Die Leute verstellen sich auf ihrer Jagd nach Likes und Aufmerksamkeit reihenweise. Fotoseiten auf Facebook verschwimmen ineinander zum Einheitsbrei, die Texte sprudeln über vor Herzen und „wundervoll“, „fabelhaft“, „wunderschön“. Das alles für den vermeintlichen Erfolg.
Ich habe kaum noch Lust meine Fotos online zu zeigen, weil es schon seit Monaten nur noch selten um die Fotografie geht, sondern darum, wer wieviel Likes bekommt und wer die besseren Workshops gibt. Was machen wir hier eigentlich? Und warum können wir nicht einfach „nur“ Fotografen sein? Seit wann reicht das nicht mehr? Seit wann müssen wir zeitgleich auch noch Entertainer, Coaches und Vlogger sein?